Verwaltungsgerichtsprozess
Verfahrensgang nach Klageerhebung
Formen der gerichtlichen Entscheidung
Die Verfahren vor den Verwaltungsgerichten können in zwei grundsätzliche Kategorien unterteilt werden. Es gibt zum einen die Klageverfahren. In diesen Verfahren soll ein Rechtsstreit endgültig entschieden werden. Zum anderen gibt es die sogenannten Eilverfahren. In einem Eilverfahren kann in besonders eilbedürftigen Fällen, in denen eine Entscheidung im Klageverfahren zu spät käme, eine vorläufige Entscheidung getroffen werden, bis das Gericht über die Klage entschieden hat.
Neben diesen beiden Verfahrensarten gibt es noch eine Vielzahl weiterer Verfahren, die sich jedoch regelmäßig als bloßer Annex zu den Klage- und Eilverfahren darstellen. Dazu zählen insbesondere die Verfahren auf Gewährung von Prozesskostenhilfe.
Im Folgenden sollen die Klageverfahren vor den Verwaltungsgerichten näher dargestellt werden.
Fühlt sich eine Bürgerin bzw. ein Bürger in ihren/seinen Rechten verletzt, kann sie/er in aller Regel nicht unmittelbar beim Verwaltungsgericht Klage erheben. Sie/er muss ihr/sein Begehren zunächst bei der Behörde vorbringen und diese muss über das Begehren durch Verwaltungsakt (Bescheid) entscheiden (etwa: Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung). In den Fällen der sogenannten Eingriffsverwaltung entscheidet die Behörde ohne entsprechenden Antrag der Bürgerin bzw. des Bürgers (etwa: Entzug der Fahrerlaubnis). Das Verwaltungsgericht überprüft im Falle einer Klage die Rechtmäßigkeit der Behördenentscheidung.
In Niedersachsen wurde im Zuge der Verwaltungsreform in vielen Rechtsgebieten das Vorverfahren - auch Widerspruchsverfahren genannt - ab 2005 abgeschafft. Oft kann deshalb gegen einen belastenden bzw. ablehnenden Bescheid der Behörde sogleich Klage beim Verwaltungsgericht erhoben werden.
Nur noch in besonderen vom Gesetz genannten Fällen (z. B. Baurecht, Prüfungsrecht) muss der Klageerhebung ein Vorverfahren vorausgehen, in dem die Behörde ihre Entscheidung noch einmal überprüft. Für die Einleitung des Vorverfahrens durch die Erhebung eines Widerspruchs sind ebenso wie für die Klageerhebung Fristen vorgeschrieben, deren schuldhafte Versäumung bereits zur Unzulässigkeit des Rechtsbehelfs führt. Die Behörden sind jedoch gehalten, über die Frist und sonst zu beachtende Förmlichkeiten in ihren Bescheiden ausdrücklich zu belehren.
Selbst wenn grundsätzlich ein Vorverfahren noch vorgeschrieben ist, braucht ausnahmsweise ein Vorverfahren nicht oder nicht bis zum Abschluss durchgeführt werden, wenn die Behörde über einen Antrag auf Erlass eines Verwaltungsaktes oder über einen eingelegten Widerspruch ohne zureichenden Grund nicht in angemessener Zeit (grds. drei Monate) entschieden hat. Dann kann nach Ablauf der Zeit sogleich Untätigkeitsklage erhoben werden.
Ein Klageverfahren kann schriftlich per Brief oder Fax oder dadurch einleitet werden, dass die/der rechtsschutzsuchende Bürgerin bzw. Bürger während der Sprechzeiten bei der Rechtsantragsstelle des Gerichts vorspricht und ihren/seinen Antrag protokollieren lässt. Der Versand per E-Mail ist nicht geeignet, um wirksam Klage zu erheben und dem Gericht rechtswirksame Erklärungen und Schriftsätze zukommen zu lassen. Allerdings bieten das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht und alle Verwaltungsgerichte in Niedersachsen die Möglichkeit der rechtsverbindlichen elektronischen Kommunikation über das jeweilige Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) an. Bei der Verwendung der elektronischen Form sind besondere Voraussetzungen zu beachten, die § 55a VwGO, § 174 ZPO und der bundeseinheitlichen Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung (ERVV) entnommen werden können.
Die schriftliche Klageschrift sollte mindestens Folgendes enthalten:
- den Namen der Klägerin bzw. des Klägers und die vollständige Anschrift
- die Bezeichnung des Verfahrensgegners (Beklagter)
- Angaben zum Streitgegenstand
- nach Möglichkeit einen konkreten und sachdienlichen Antrag und
- die eigenhändige Unterschrift.
Wenn es an einem dieser Punkte fehlt, läuft die Klägerin bzw. der Kläger Gefahr, dass ihre/seine Klage als unzulässig angesehen wird. Allerdings besteht in vielen Punkten die Möglichkeit einer Nachbesserung.
Der Klageschrift sollten Abschriften für den Verfahrensgegner und der streitige Bescheid in Kopie beigefügt werden. Eine Klagebegründung muss nicht sofort vorgelegt werden; sie kann später nachgereicht werden. Das Gericht kann dafür eine Frist setzen.
Für eine Klageerhebung vor dem Verwaltungsgericht muss kein Rechtsanwalt beauftragt werden. Bei den Verwaltungsgerichten erster Instanz besteht kein Anwaltszwang. Jede prozessfähige Bürgerin bzw. jeder prozessfähiger Bürger kann selbständig ein Verfahren betreiben.
Die Klage muss in aller Regel innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheids oder - soweit kein Widerspruchsverfahren stattfindet - nach Bekanntgabe des belastenden oder ablehnenden Bescheids erhoben werden. Die Klagefrist ergibt sich aus der Rechtsbehelfsbelehrung der behördlichen Entscheidung.
Verfahrensgang nach Klageerhebung
Nachdem die Klägerin bzw. der Kläger die Klage - persönlich oder durch einen Rechtsanwalt - erhoben hat, erhält sie/er zunächst eine Eingangsmitteilung des Gerichts. Gleichzeitig wird sie/er aufgefordert, die Klage zu begründen, soweit dies noch nicht geschehen ist. Im weiteren Verlauf werden der Klägerin bzw. dem Kläger die schriftlichen Äußerungen des Verfahrensgegners übermittelt, zu denen sie/er Stellung nehmen kann. Der für die gerichtliche Entscheidung maßgebliche Sachverhalt wird von Amts wegen erforscht, d. h. das Gericht ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden. Das Gericht prüft also selbständig, ob weitere Unterlagen anfordert, Auskünfte oder Gutachten eingeholt werden müssen. Es wirkt darauf hin, dass ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt und alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhaltes wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.
Nachdem sich das Gericht über die zu entscheidende Streitfrage hinreichend informiert hat, wird in der Regel ein Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt werden. Im Einverständnis mit den Beteiligten kann auch eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren ergehen. Zum Termin einer mündlichen Verhandlung werden die Beteiligten rechtzeitig - in der Regel wenigstens zwei Wochen vorher - geladen. Die Beteiligten oder ihre Bevollmächtigten brauchen im Verhandlungstermin nicht anwesend sein, wenn das Gericht das persönliche Erscheinen nicht besonders angeordnet hat. Das Gericht kann auch ohne die Beteiligten verhandeln. Dies sollte jedoch die Ausnahme sein.
Die mündliche Verhandlung beginnt mit dem Aufruf zur Sache. Zunächst wird die Vorsitzende Richterin bzw. der Vorsitzende Richter die Anwesenheit der erschienenen Beteiligten protokollieren. Im Anschluss daran wird die für die Bearbeitung des Verfahrens zuständige Berichterstatterin oder der Berichterstatter den wesentlichen Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Unterlagen referieren, d. h. den Sachverhalt des Klageverfahrens darstellen. Die Beteiligten haben die Gelegenheit, im Anschluss an den Sachbericht Ergänzungen oder Korrekturen anzubringen. Regelmäßig schließt sich dem ein Rechtsgespräch an. Dies kann damit eingeleitet werden, dass das Gericht die Beteiligten auf die Probleme des Falles hinweist.
Nicht selten ergibt sich in einem Rechtsgespräch, dass eine gütliche Einigung möglich ist. Das Gericht wird die Beteiligten auf diese Möglichkeit aufmerksam machen und zu gegebener Zeit auch einen Vergleichsvorschlag unterbreiten. Zur Vermeidung weiterer Kosten sollten die Beteiligten den Vorschlag ernsthaft bedenken. Manchmal ist ein halber Sieg besser als ein langwieriger Rechtsstreit, der viel Zeit und Geld kosten kann.
Unter Umständen legt das Gericht der Klägerin bzw. dem Kläger nach eingehender Erörterung der Sach- und Rechtslage auch nahe, die Klage zurückzunehmen, weil sie aussichtslos ist. Bei einer Klagerücknahme entstehen für die Klägerin bzw. den Kläger weit geringere Kosten (vor dem Verwaltungsgericht vermindern sich die Gerichtskosten um zwei Drittel). Dies sollte die Klägerin bzw. der Kläger bei ihrer/seiner Entscheidung, ob sie/er das Klageverfahren fortführen möchte, bedenken.
Wenn alles gesagt ist und die Anträge gestellt sind, schließt die Vorsitzende oder der Vorsitzende die mündliche Verhandlung. Das Gericht zieht sich nun zur Beratung zurück und verkündet in den meisten Fällen noch am selben Tag eine Entscheidung. Oft sind jedoch mehrere Sachen zu beraten, so dass sich nicht immer absehen lässt, wann es genau zu einer Verkündung kommen wird. Die Beteiligten erleiden keinen Nachteil, wenn sie das Gericht nach der mündlichen Verhandlung verlassen und das Ergebnis am nächsten Tag telefonisch bei der zuständigen Geschäftsstelle des Gerichts erfragen. Außerdem bekommen die Beteiligten oder ihre Prozessbevollmächtigten natürlich auch ein Protokoll der mündlichen Verhandlung und später die schriftlich abgefasste Entscheidung zugestellt. Erst ab dem Zeitpunkt der Zustellung des begründeten Urteils läuft die Rechtsmittelfrist.
Formen der gerichtlichen Entscheidung
In einem Klageverfahren ergeht nach einer mündlichen Verhandlung üblicherweise ein Urteil. Im Einverständnis der Beteiligten kann auch ohne mündliche Verhandlung im schriftlichen Verfahren ein Urteil gesprochen werden.
Im schriftlichen Verfahren kann über eine Klage außerdem durch Gerichtsbescheid entschieden werden. Dies kommt in Betracht, wenn es sich um eine tatsächlich und rechtlich einfach gelagerte Sache handelt und der Sachverhalt geklärt ist. Eine solche Entscheidung, die ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richterinnen und Richter ergeht, bedarf nicht der Zustimmung durch die Verfahrensbeteiligten. Sie sind aber vorher anzuhören.
Hat sich der Rechtsstreit erledigt oder wird die Klage zurückgenommen, wird das Verfahren durch Beschluss eingestellt, der auch die Kostentragung regelt.
Ein Urteil des Verwaltungsgerichts kann - ebenso wie ein Gerichtsbescheid - in der Rechtsmittelinstanz überprüft werden. Gegen Urteile kann Berufung eingelegt werden, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen worden ist.
Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung zu, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder das Urteil von einer obergerichtlichen Entscheidung abweicht. Die Berufung ist in diesem Fall innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen.
Wird die Berufung in dem Urteil des Verwaltungsgerichts nicht zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen (sog. Antrag auf Zulassung der Berufung). Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Das Oberverwaltungsgericht kann die Berufung zulassen, wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen, wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, wenn das Urteil von einer obergerichtlichen Entscheidung abweicht oder wenn ein Verfahrensmangel vorliegt.
Hat das Gericht ein Klageverfahren durch Beschluss eingestellt, ist dieser - insbesondere hinsichtlich der Kostenentscheidung - unanfechtbar. Hat das Gericht jedoch in diesem Beschluss zugleich den Streitwert endgültig festgesetzt, kann diese Entscheidung regelmäßig mit der Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht angefochten werden.
Gegen Urteile des Oberverwaltungsgerichts ist die Revision zum Bundesverwaltungsgericht möglich, die zuvor einer Zulassung bedarf.
Zu beachten ist: Vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer in Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird. Dies bedeutet: Eine Berufung oder ein Antrag auf Zulassung der Berufung gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts kann wirksam nur durch einen Bevollmächtigen erhoben werden. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte zugelassen, aber auch andere qualifizierte Personen, die in § 67 VwGO genannt sind.
Im Einzelnen geben die Rechtsmittelbelehrungen unter den Entscheidungen des Gerichts Auskunft über das zulässige Rechtsmittel und die weiteren Erfordernisse. Aus der Rechtsmittelbelehrung ist außerdem zu ersehen, ob für die Einlegung eines Rechtsmittels ein Rechtsanwalt oder ein anderer qualifizierter Bevollmächtigter benötigt wird.